Die Einschätzung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), im Kontext der Migration gebe es ein „Problem“ im „Stadtbild“, erfährt bei Anhängern der SPD mehr Zustimmung als Ablehnung. Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag von WELT AM SONNTAG. 50 Prozent der befragten SPD-Unterstützer stimmten der Aussage zu: „Die Stadtbild-Aussage ist kein Tabubruch und spricht lediglich aus, was viele denken.“

Das Gegenteil („Ist ein Tabubruch und verschiebt die Grenzen des Sagbaren nach rechts“) erklärten hingegen nur 29 Prozent der sozialdemokratischen Wähler für richtig. Für die neutrale Position „Weder noch“ entschieden sich 13 Prozent.

Dieses Stimmungsbild ist bemerkenswert, da die Merz-Äußerung beim Koalitionspartner der Union scharfe Kritik ausgelöst hatte. Vizekanzler und SPD-Chef Lars Klingbeil warnte davor, „mit Sprache zu spalten“. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Fiedler, sagte vor einer Woche WELT AM SONNTAG: „Danke für nichts, Herr Bundeskanzler!“

In der Gesamtbevölkerung (2343 Befragte) teilt eine absolute Mehrheit die Wahrnehmung von Merz. 58 Prozent befürworten sie, 21 Prozent lehnen sie ab. Den stärksten Anklang registrierten die Demoskopen im Vergleich der Bundestagsparteien bei Anhängern von CDU und CSU (82 Prozent), dicht gefolgt von jenen der AfD (79 Prozent). Anhänger der Grünen (65 Prozent) und der Linkspartei (61 Prozent) lehnen die Aussage des Kanzlers mehrheitlich ab.

Mit dem Alter steigt die Zustimmung zur Äußerung des Kanzlers stetig. Eine Minderheit der 18- bis 29-Jährigen – 35 Prozent – erklärt diese für richtig, während die Ablehnung mit 38 Prozent überwiegt. In der Gruppe der 30- bis 39-Jährigen überwiegt die positive Resonanz bereits knapp mehrheitlich: 51 Prozent stimmen Merz‘ Einordnung zu, 27 Prozent lehnen sie ab. In den vier weiteren Gruppen in der Altersspanne von 40 Jahren bis 70 plus liegen die Zustimmungswerte kontinuierlich steigend zwischen 62 und 69 Prozent. Nur jeweils eine Minderheit von 15 bis 17 Prozent lehnt die Merz-Aussage ab.

Zudem zeigt die Erhebung Unterschiede in der Bewertung nach „Wohnumfeld“ auf. 60 Prozent der im ländlichen Bereich sowie 63 Prozent der in Vorstädten lebenden Befragten begrüßen die „Stadtbild“-Kritik. Unter den teilnehmenden Stadtbewohnern betrifft das eine knappe Mehrheit von 52 Prozent. Die Ansicht, der Kanzler habe einen „Tabubruch“ begangen, ist zudem unter Städtern stärker ausgeprägt (26 Prozent) als unter den Vorort- und Landbewohnern (17 beziehungsweise 18 Prozent).

Grüne Bürgermeisterin richtet Fokus auf häusliche Gewalt

Die Stadtbild-Debatte hat inzwischen eine zweite Ebene erreicht – nun geht es auch grundlegend um die Frage, wie sicher Frauen in Deutschland leben. In einem offenen Brief forderten Anfang der Woche 60 prominente Frauen aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft Kanzler Merz dazu auf, sich stärker für die Sicherheit von Frauen einzusetzen und dabei nicht „rassistische Narrative“ zu bedienen, wie aus ihrer Sicht geschehen.

Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) warnt davor, Sicherheit für Frauen auf das Thema Abschiebungen zu reduzieren: „Wer sich dafür nur im Kontext von Migrationspolitik interessiert, ist auf dem Holzweg.“ Die größte Gefahr gehe vom persönlichen Umfeld der Frauen aus. Fegebank fordert deshalb mehr Frauenhäuser, Schutzwohnungen und Programme gegen Partnergewalt: „Wir setzen auf Lösungen statt Symboldebatten.“

Die SPD-Fraktionsvize im Bundestag, Sonja Eichwede, betont, Gewalt gegen Frauen sei „ein gesellschaftliches Problem“. „Noch immer wird sexuelle Belästigung zu oft verharmlost. Beinahe täglich wird in Deutschland eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist. Wir müssen hinsehen und handeln – mit härteren Gesetzen, elektronischen Fußfesseln und verpflichtenden Anti-Gewalt-Trainings.“

Einen anderen Akzent setzt Sahra Wagenknecht, die Chefin des BSW: „Deutschland ist nicht mehr das Land, das es einmal war. Unser Land ist so unsicher wie seit Jahrzehnten nicht mehr – das betrifft nicht nur, aber besonders Frauen.“ Spätestens die Kölner Silvesternacht 2015 sei der letzte Warnschuss gewesen. Wagenknecht spricht von einer „gescheiterten Politik“, die das Land heruntergewirtschaftet habe – „von der Migrations- über die Sozialpolitik bis zu den Finanzen der Kommunen“.

„Um die Sicherheit der Bürger zu erhöhen, braucht es nicht nur vernünftige Einzelmaßnahmen wie eine konsequentere Strafverfolgung, höhere Polizeipräsenz und auch mehr Mittel für Frauenhäuser“, fordert Wagenknecht. „Dabei sollte das idiotische Selbstbestimmungsgesetz dringend wieder abgeschafft werden – es ist eine echte Sicherheitsgefahr für Millionen Frauen. Es braucht auch eine grundlegende Veränderung, eine 180-Grad-Wende der Politik insgesamt: bei Migration und Integration, bei innerer wie sozialer Sicherheit bis hin zu endlich auskömmlichen Finanzen der Kommunen.“

Zur Methodik: Für die Umfrage hat YouGov vom 24. bis 27. Oktober 2343 Teilnehmer online befragt.

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