Die Akzeptanz der Gleichberechtigung von Mann und Frau hat in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland deutlich zugenommen. Bei längerfristiger Betrachtung der gesamten Welt gebe es einen „klaren Modernisierungsprozess der Einstellungen zu Geschlechterrollen in der Gesellschaft“, stellt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer am Mittwoch veröffentlichten Studie fest.

In den nordischen Ländern wie Schweden bewegt sich der auf einer Skala zwischen 0 (traditionell) und 1 (gleichstellungsorientiert) gemessene „Egalitätsindex“ bereits nahe am Höchstwert. In Deutschland liegt er mit einem Wert von 0,85 deutlich über dem weltweiten Durchschnitt von 0,62.

Doch so ungebremst wie in den Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkrieg setzte sich diese Einstellung zur Gleichberechtigung zuletzt offenbar nicht mehr fort. Der Prozess habe sich deutlich verlangsamt und mancherorts sogar umgekehrt, stellten die DIW-Forscher in ihrer Analyse fest.

„Weltweit sind die Unterschiede größer geworden. Einige Länder modernisieren sich weiter, andere bleiben sehr traditionell; in manchen Ländern sind die Jüngeren wieder traditioneller als ihre Eltern. Das ist ein Phänomen, was uns überrascht hat und sich auch in einzelnen europäischen Ländern beobachten lässt“, sagt DIW-Forscher Lukas Menkhoff, der die Studie zusammen mit seiner Kollegin Katharina Wrohlich erarbeitet hat.

Die Analyse basiert auf Antworten aus sieben Befragungswellen des „World Value Survey“, in dem alle fünf Jahre sozialer, politische, wirtschaftliche, religiöse und kulturelle Werte und Einstellungen erhoben werden. Für den Egalitätsindex zogen die Forscher die Zustimmungswerte zu drei Aussagen aus den Bereichen Bildung, Arbeit und Politik heran, die Auskunft über die Haltung zu Gleichstellungsfragen geben können: „Universitätsbildung ist für Jungen wichtiger als für Mädchen.“ – „Männer sollten bei Jobknappheit mehr Recht auf einen Job haben als Frauen.“ – „Männer sind bessere politische Führungspersonen als Frauen“.

Für Analysen über die Zeit hinweg nutzten die Forscher fünf Befragungswellen in einem Zeitraum von 1995 bis 2022. Für die Zeit davor wurden die Einstellungen anhand der Antworten der älteren Geburtsjahrgänge abgeschätzt. Insgesamt wurden so Trends über mehr als 60 Jahrgänge hinweg rekonstruiert, beginnend mit dem Geburtsjahrgang 1915. Repräsentative Daten liegen für mehr als 80 Ländern vor, die etwa 85 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen.

Konservative Wende unter jungen Menschen in manchen Ländern

Seit den 1990er-Jahren sind egalitäre Einstellungen demnach weltweit gewachsen, der Mittelwert des Egalitätsindexes stieg zwischen 1995 und 2020 von 0,53 auf 0,62. In Deutschland stieg der Wert von 0,74 auf 0,85. Länder mit höherem Einkommen zeigen dabei tendenziell modernere Geschlechterbilder. Doch das Tempo der Veränderung hat sich insgesamt verlangsamt.

In knapp 40 Prozent der untersuchten Länder sind jüngere Menschen zwischen 18 und 27 Jahren nicht mehr moderner eingestellt als die zehn Jahre älteren Kohorten – in manchen sogar konservativer. In besonderem Maße gilt das für Länder wie Italien, Polen, die Schweiz, die USA oder Brasilien.

„Das heißt, in diesen Ländern sind die jüngsten 20 Jahrgänge der Erwachsenen umso traditioneller, je jünger sie sind“, heißt es in der Analyse. „Wenn sich dies fortschreibt, würde sich die Modernisierungstendenz eines Tages ins Gegenteil umkehren.“ In früheren Erhebungswellen des World Value ­Survey waren die jüngeren Jahrgänge typischerweise moderner hinsichtlich ihrer Einstellungen zu ­Geschlechterrollen als die älteren.

In Deutschland hält der Trend zu egalitäreren Einstellungen zwar an, flacht aber ab. So sei der Wert des Egalitätsindex der jüngeren Welle etwa seit dem Jahrgang 1965 bis zu den jüngsten Jahrgängen um 1995 fast unverändert geblieben, heißt es in der Analyse. „In Deutschland sieht man, dass die Einstellungen ein hohes Maß an Modernität erreicht haben, also sich ein relativ gleichgerichtetes, egalitäres Rollenbild etabliert hat. Auch wenn es noch nicht das Niveau erreicht hat, das beispielsweise die skandinavischen Länder schon haben“, kommentiert Menkhoff. In den vergangenen Jahrzehnten sei aber nicht mehr viel passiert. „Das heißt, es scheint auf einen Grenzwert zu­zulaufen.“

Auffällig ist für ihn auch die zunehmende Streuung der weltweiten Egalitätsindex-Werte. Die Einstellungen zu Geschlechterrollen seien heute weltweit uneinheitlicher als noch vor 25 Jahren. „Die Unterschiede sind erheblich“, sagt Menkhoff. „Einige Länder bleiben sehr traditionell ausgerichtet, aber andere modernisieren sich. Statistisch gesehen wird die Welt in dieser Hinsicht uneinheitlicher.“

Sabine Menkens berichtet über gesellschafts-, bildungs- und familienpolitische Themen.

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