Erst vor wenigen Tagen wurden in New York zwei mutmaßliche Mafiosi zu jeweils 25 Jahren Haft verurteilt. Sie sollen im Auftrag des iranischen Regimes einen Mordanschlag auf Masih Alinejad geplant haben. Die iranisch-amerikanische Journalistin ist eine der bekanntesten Aktivistinnen unter Exil-Iranern. Mit ihrer Online-Kampagne, die Frauen im Iran zu Protesten gegen die Kopftuchpflicht ermutigte, brachte sie sich selbst in Gefahr. Sie lebt seit Jahren unter Polizeischutz. Seit Bekanntwerden des Mordkomplotts hat sie knapp zwei Dutzend Mal ihren Wohnort gewechselt. WELT traf sie auf der Freedom Conference in Berlin.
WELT: Frau Alinejad, wie gefährlich ist das iranische Regime heute? Nicht nur für Sie, sondern für Iraner weltweit.
Masih Alinejad: Die Islamische Republik nimmt Menschen innerhalb Irans und außerhalb, jenseits ihrer eigenen Grenzen, ins Visier, weil Töten, Attentate und Folter in der DNA dieses Regimes liegen. Während ich mit Ihnen spreche, steigt die Zahl der Hinrichtungen in Iran. Es schockiert mich, wenn ich sehe, wie alle Anti-Kriegs-Aktivisten ihre Sachen packen und nach Hause gehen, ohne zu bedenken, dass die Islamische Republik einen Krieg gegen das iranische Volk im In- und Ausland führt.
WELT: Sie wurden selbst von Attentats- und Entführungsplänen des Regimes ins Visier genommen.
Alinejad: Es war nicht nur einmal. Ich habe drei Attentatsversuche außerhalb Irans überlebt. Sie waren in der Lage, zwei russische Auftragskiller vor mein Haus zu schicken.
WELT: Auf amerikanischem Boden.
Alinejad: Ja, auf US-Boden. Beim zweiten Mal engagierten sie zwei Amerikaner, die vor der Fairfield University auf mich warteten, wo ich einen Vortrag halten sollte – im Grunde, um meine Meinungsfreiheit auszuüben. Wenn die Islamische Republik US-Bürger auf US-Boden ins Visier nimmt, bedeutet das, dass sie die nationale Sicherheit der USA angreift. Sie greifen die Meinungsfreiheit in Amerika an. Aber es geht nicht nur um mich oder das iranische Volk. Sie wissen, dass dieses Terrorregime eine echte Bedrohung für Demokratie, Meinungsfreiheit, nationale und globale Sicherheit von Europäern, Amerikanern und der freien Welt ist.
WELT: Wie sollten demokratische Regierungen mit einem solchen Regime umgehen?
Alinejad: Ganz klar: Hört auf, Diktatoren demokratische Titel zu geben. Nennt sie, was sie sind: Terroristen. Die US-Regierung hat die Revolutionsgarden als Terrororganisation eingestuft. Kürzlich auch Australien und Kanada. Und Deutschland? Sie zögern immer noch, die Revolutionsgarden als Terrororganisation zu benennen. Das gefährdet nicht nur Iraner, sondern auch die nationale Sicherheit der Deutschen.
WELT: Wenn Sie das Verhalten des Regimes bei der Unterdrückung von Frauen in Iran, bei Attentaten im Ausland und bei der Unterstützung von Stellvertretern in der Region betrachten, was ist die Kernlogik dahinter?
Alinejad: Sie wissen: Wenn sie ihre Ideologie überall ausbreiten, gewinnen sie. Ich glaube aber, dass die Islamische Republik derzeit so schwach ist wie nie zuvor. Aber sie werden nicht aufhören. Der Westen denkt, nach Angriffen auf Nuklearanlagen, nach den Angriffen Israels auf Hamas und Hisbollah, sei die Bedrohung vorbei. Das ist falsch. Solange das Regime an der Macht ist und Sanktionen aufgehoben werden, werden sie Hamas, Hisbollah, die Huthi im Jemen und ihre Nuklearanlagen wieder aufbauen. Sie bleiben die größte Bedrohung für die Region und den Westen. Die Islamische Revolution in Iran war die Ideologie von Ayatollah Khomeini, der sagte, man stürze den Schah, um das islamische Regime nicht nur in Iran, sondern überall zu etablieren.
WELT: Welche Rolle sollte Europa, insbesondere Deutschland, bei der Bekämpfung des Einflusses des Iran und islamistischer Netzwerke spielen?
Alinejad: Sie exportieren den Islamismus weltweit, mit riesigen Budgets für islamische Zentren, zum Beispiel in London und Deutschland. Letztes Jahr hat Deutschland einige Zentren geschlossen, aber es gibt immer noch viele. Die Ideologie der Führer der Islamischen Republik ist, ihre Ideologie auf Kinder und Frauen auch in Deutschland auszuweiten. In Stockholm oder Frankreich sehe ich, wie Mädchen im Alter von sieben oder neun Jahren gezwungen werden, den Hijab zu tragen. Im Westen steigt die Zahl der Kinder-Ehen unter Scharia-Gesetzen. Es wird gefordert, Scharia-Gesetze in Schulen anzuwenden, Männer und Frauen zu trennen, auch in Schwimmbädern. Das macht mich unsicher und wütend, weil der Islamismus im Namen von kulturellem Relativismus und Islamophobie universelle Werte angreift.
WELT: Es gibt auch Kritik.
Alinejad: Ich werde im Westen kritisiert, weil ich über die Brutalität des Regimes spreche, und mir wird Islamophobie vorgeworfen. Aber meine Angst ist rational, weil ich unter Scharia-Gesetzen gelebt habe. Wer nicht mitmacht, wird ausgepeitscht, kommt ins Gefängnis oder wird hingerichtet. In 40 Jahren hat die Islamische Republik über 540 Menschen auf europäischem Boden ermordet oder entführt. Das ist Terrorismus. Die Islamische Republik unterstützt diese Ideologie überall, auch im Westen. Es bricht mir das Herz, wenn Jugendliche auf dem Universitätscampus mit dem Regime oder der Hamas sympathisieren. Wer wirklich pro-palästinensisch sein will, muss „Free Palestine from Hamas and Islamic Republic“ fordern.
WELT: Viele in der Region, auch einige Iraner, sehen Israels jüngsten Angriff im 12-Tage-Krieg als notwendig, um Irans Atomprogramm zu stoppen. Stimmen Sie zu?
Alinejad: Die Islamische Republik versteht nur die Sprache des Drucks, nicht der Diplomatie. Wie will der Westen ein Regime stoppen, das nach dem 7. Oktober einen Terroranschlag auf Zivilisten koordiniert hat? Wie will man das Chaos und den Krieg in der Region beenden, wenn man der Islamischen Republik Atomwaffen erlaubt? Das ist ein Regime, das Teenager für das Zeigen ihrer Haare tötet und Frauen für das Singen ins Gefängnis steckt. Wie kann man diesem Regime im Verhandlungsprozess vertrauen? Millionen Iraner sind Ziel eines internen Krieges ihres eigenen Regimes. Sie haben die Tötung von Revolutionsgardisten gefeiert und gefragt, warum Israel nicht Khamenei ausschaltet. Ich wiederhole nur die Stimme von Millionen Iranern: Jeder Tag, den Diktator Ali Khamenei an der Macht bleibt, bringt mehr Leid. Die iranische Bevölkerung begrüßte die gezielten Operationen der USA und Israels. Wir wollten nie Krieg. Der Krieg wird uns von der Islamischen Republik aufgezwungen.
WELT: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Fehler des Westens in der Iran-Politik?
Alinejad: Diplomatisch: Seit 40 Jahren gibt es keine diplomatischen Beziehungen. Die US-Regierung versucht immer wieder, mit der Islamischen Republik zu verhandeln. Immer auf demselben Weg. Der größte Fehler ist, dass es keine einheitliche Politik gegenüber der Islamischen Republik gibt, unabhängig davon, wer regiert. Weil die Politik ständig wechselt, kann das Regime Zeit gewinnen und seine Nuklearanlagen und Stellvertreter stärken. Die USA brauchen eine gemeinsame, parteiübergreifende Politik zur Bekämpfung des Terrorismus der Islamischen Republik. Ein weiterer Fehler: Als das Volk das Regime erschütterte, zögerte die Obama-Administration, sich zu positionieren, ebenso die Biden-Administration. Die Iran-Politik von Trump wurde von den Iranern begrüßt, aber ich traue ihm nicht, weil er ebenfalls Verhandlungen mit dem Regime anstrebt – ein historischer Fehler. Das Regime ist nicht legitim.
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