Auf das Demonstrationswochenende wegen der Gründung einer neuen AfD-Jugendorganisation in Gießen folgt eine Debatte über angemessenen Protest und den Umgang der Polizei damit. Eine Bilanz zu dem Großeinsatz der Polizei in der Universitätsstadt will Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) am Montag vorlegen, Lob verteilt er schon am Sonntag in Richtung der Einsatzkräfte.

„Es sind sicherlich nicht die schlimmsten Szenarien eingetreten“, sagte der Präsident des Polizeipräsidiums Mittelhessen, Torsten Krückemeier. Ein Anwalt, der einige Demonstranten vom Samstag vertritt, erhebt Vorwürfe.

Die neue AfD-Jugendorganisation Generation Deutschland (GD) gründete sich am Samstag in den Hessenhallen in Gießen. Begleitet wurde die Veranstaltung der Partei von Protesten Zehntausender Menschen in und um die Stadt.

Demos, Blockaden und Wasserwerfer-Einsatz

Der damit verbundene Polizeieinsatz zählte mit bis zu 5000 Beamten zu den größten in Hessen überhaupt, mit dabei waren Polizeibeamte aus 15 Bundesländern. Die Polizei schirmte den AfD-Veranstaltungsort weiträumig ab. Demonstrationen verschiedener Veranstalter gegen die AfD verliefen laut Polizei überwiegend friedlich. An einigen Orten kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Polizei. Bei der Auflösung von Straßenblockaden kamen Wasserwerfer zum Einsatz.

Die Polizei hatte mit bis zu 50.000 Demonstranten aus ganz Deutschland gerechnet, am Ende zählte sie etwa 25.000 Menschen auf den Straßen der Stadt. Das Bündnis „Widersetzen“ sprach von über 50.000 Teilnehmern.

Polizeipräsident Krückemeier zufolge wurden nach bisherigen Erkenntnissen zwischen zehn und 20 Polizeibeamte leicht verletzt. Drei Personen seien festgenommen worden. Sie hätten die Gewahrsamsstelle aber alle kurz darauf wieder verlassen können. 25 Strafanzeigen seien gefertigt worden.

„Gießen hat nicht gebrannt“

Zu verletzten Demonstranten lagen der Polizei keine gesicherten Zahlen vor. Das Uniklinikum Gießen-Marburg hatte am Samstagnachmittag etwa 15 Demonstranten gezählt, die sich dort hatten behandeln lassen.

Die Gewerkschaft der Polizei in Berlin kritisierte das Vorgehen der Demonstranten und sprach von 30 verletzten Polizisten. Auf X sprach der Vize-Landesvorsitzende Thorsten Schleheider von der „hässlichen Fratze des Linksextremismus“. Dieser sei „scheinheilig, selbstgerecht, undemokratisch, menschenverachtend und gewalttätig“. Schleheider sprach weiter von einem „echten Dreckseinsatz wegen der Lage ohne echte Versorgungsmöglichkeit“.

„Gießen hat nicht gebrannt, sondern geleuchtet – durch die vielen Augen derer, die auf die Straßen gegangen sind und fröhlich und friedlich ihre Unterstützung unserer Demokratie gefeiert und ihrer Sorge vor einem Rechtsruck Ausdruck verliehen haben“, sagte Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher (SPD). Er betonte auch, auf die Bilder der Gewalt hätte er gern verzichtet. Bei Poseck klang das drastischer. „Ohne die Polizei wäre es in Gießen zu schwersten Gewalttaten und bürgerkriegsähnlichen Zuständen gekommen“, sagte der Minister.

„Vorfälle müssen aufgeklärt werden“

AfD-Chefin Alice Weidel, die am Samstag in Gießen war, sagte in einem Video auf der Plattform X, der Ort der parlamentarischen, politischen Auseinandersetzung sei nicht draußen auf der Straße mit Gewalt. Das, was in Gießen draußen gemacht worden sei, sei zutiefst undemokratisch gewesen. Die innenpolitische Sprecherin der AfD-Fraktion im hessischen Landtag, Sandra Weegels, teilte mit, es sei vor allem dem „sehr professionellen Einsatz“ der Polizei zu verdanken, dass die AfD ihr Recht, eine Parteijugendorganisation zu gründen, am Samstag in Gießen habe ausüben können.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Hessen-Thüringen, der in Gießen die größte Demonstration mit nach DGB-Angaben mehr als 20.000 Teilnehmern organisiert hatte, betonte, bei der eigenen Veranstaltung sei es „sehr entschlossen und friedlich“ zugegangen. Die Zusammenarbeit mit den Ordnungskräften sei gut und von gemeinsamer Verantwortung geprägt gewesen. Leider sei das nicht überall so gewesen, sagte der Vorsitzende Michael Rudolph und verwies auf verletzte Polizeibeamte und Demonstrierende. „Diese Vorfälle müssen auf beiden Seiten aufgeklärt werden.“

Der Anwalt Jannik Rienhoff, der einige in Gewahrsam genommene Aktivisten des Bündnisses „Widersetzen“ vertritt, sprach von einem „eskalativen“ Polizeieinsatz. Man habe auf Videomaterial massive Polizeigewalt festgestellt. „Ich halte die für offensichtlich rechtswidrig, weil sie völlig unverhältnismäßig war“, sagte Rienhoff. Polizisten seien teils gegen Leute angerannt und hätten „draufgeschlagen“. Personen, die in Gewahrsam genommen worden seien, sei es nicht ermöglicht worden, zu telefonieren – obwohl eigentlich klar sei, dass Menschen in Gewahrsam ihre Anwälte anrufen dürften. Laura Wolf, Sprecherin des Bündnisses, sagte, Polizisten hätten „Faschisten den Weg freigeprügelt“.

Polizeipräsident Krückemeier betonte dagegen, er gehe davon aus, dass die Rechte festgenommener Personen zu jeder Zeit berücksichtigt worden seien. Hinweise auf eine unrechtmäßige Anwendung von Zwang gebe es bisher nicht.

Minister Poseck sagte, es sei notwendig und zulässig, dass die Polizei Zwangsmittel einsetze, etwa, um zu verhindern, dass gewaltbereite Demonstranten zum AfD-Veranstaltungsort durchbrechen oder Zufahrtsstraßen und Rettungswege über längere Zeit blockiert werden.

„Zweck heiligt nicht die Mittel“

„Wir dürfen nicht zulassen, dass sich einzelne Gruppen in unserem Land in eine rechtliche Parallelwelt begeben“, sagte Poseck. „Der Zweck heiligt nicht die Mittel“. Es sei der Polizei zu verdanken, dass es nicht zu weiteren Eskalationen in Gießen gekommen sei. „Auch wenn der überwiegende Teil der Demonstranten friedlich war, war das Gewaltpotenzial sehr erheblich.“

„Es wäre wünschenswert, dass sich die gemäßigten Linken von diesem Gewaltwochenende von Gießen distanzieren und sich für einen demokratischen Umgang einsetzen auch mit jenen, die wir aus guten Gründen ablehnen und mit denen wir politisch nichts zu tun haben wollen“, sagte der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) „Welt“. „Die Gewaltmärsche von Gießen waren ein linker Tiefpunkt.“

Poseck verurteilte explizit die Mittel des Aktionsbündnisses „Widersetzen“. „Dieses Bündnis agiert sehr bewusst außerhalb des geltenden Rechts. Damit tritt es die Grundlagen unserer Demokratie mit Füßen“, sagte er. Gewalttaten und Rechtsbrüche schadeten der Demokratie und nutzten am Ende der AfD.

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