Robert Habeck schlägt mit der flachen Hand auf die Rückenlehne eines Stuhls, gerade hat er die erste ZDF-Hochrechnung zur Bundestagswahl 2025 gehört: zwölf Prozent für die Grünen. „Hä, zwölf haben wir?“, ruft Habeck entgeistert. Er hatte offenbar mit mehr gerechnet – und es geht weiter bergab, bis feststeht: Die Grünen erreichen im Februar bei der vorgezogenen Bundestagswahl nur 11,6 Prozent.

Zwar war es das bislang zweitbeste Ergebnis der Partei auf Bundesebene. Aber für den damaligen Vizeregierungschef und seine engsten Unterstützer, die ihn zumindest anfangs im Wahlkampf schon als „Bündniskanzler“ Deutschlands gesehen haben, ist es eine Riesenenttäuschung. Das macht der Film „Jetzt. Wohin. – Meine Reise mit Robert Habeck“, der am 7. Dezember in die Kinos kommt (FSK: 6), überdeutlich.

Dieser soll diese Enttäuschung aufarbeiten aus Perspektive des bestens in der deutschen Filmbranche vernetzten Habeck-Freunds und Öko-Aktivisten Lars Jessen, der zuvor etwa die Mockumentary „Fraktus“ und „Tatort“-Folgen drehte. Für den Habeck-Film sammelte der Filmemacher laut Vertriebsangaben 270.000 Euro Fördergelder ein.

Damit wirft Jessen laut Werbung einen „Blick hinter die Kulissen“ des Wahlkampfs von Habeck, den er im Wahlkampf begleitete. Dabei war er aber mehr Berater und Helfer als Dokumentarfilmer: Zu Habecks Gunsten gründete Jessen das Netzwerk „Grüne Küche“. Darin rührte er mit öffentlich-rechtlichen Experten-Aktivisten – zum Beispiel Maja Göpel oder „Checker Tobi“ – für den Wahlkampf Habeck-freundliche Social-Media-Botschaften zusammen. Es sind solche Stimmen, die neben Jessen selbst im Vordergrund stehen.

Authentische Backstage-Szenen mit Habeck wie die vom Wahlabend sind selten. Statt um Wahlkampf-Einblicke geht es um die Frage: Wer ist schuld am Scheitern Habecks und seiner Grünen? Spoiler: Die Partei ist es in diesem Film eher nicht. Auch Habeck trifft demnach wenig Schuld, steht er für Jessen doch für „das Gute“.

Ungefähr zur Filmhalbzeit auf dem Weg zur Wahlniederlage sinniert der Regisseur: „Langsam wird mir bewusst, dass dieser Film auch ein Film über mich und irgendwie auch über uns alle ist, die dran geglaubt hatten, dass sich das Gute schon durchsetzt. Die Sehnsucht nach einem Wendepunkt in der Geschichte des Wahlkampfs wächst von Tag zu Tag.“

„Jeder macht's mit jedem, so hab‘ ich mir mein Leben vorgestellt“

Der Film beginnt mit Bildern von tiefblauer See und tiefblauen Habeck-Augen im Großformat, Donald Trump ruft nach Ölbohrungen, Landschaften brennen. Darüber legt sich Habecks Stimme aus dem Off: „Ihr seht die Jahrhundertfluten, die Unwetter, die Dürren, die Hitzewellen“, verkündet sie, und dass „das Leben“ auf dieser Erde „danach schreit, dass wir uns nicht dafür entschuldigen müssen, Klimaschutz zu machen“. Könnte der Grüne es nicht wirklich schaffen, als Anti-Trump und Anti-AfD-Verkörperung, als Bauern-bezirzender Pragmatiker aus dem Norden, der – O-Ton von seinem Philosophie-Lehrer – schon als Schüler „wahrhaftig“ gewesen sei?

Und dazu diese origin story: Es war im Frühjahr nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, so lässt Jessen Habeck erzählen, da habe er im Schultheater im „Sommernachtstraum“ mitgespielt. Das Shakespeare-Stück habe eine „romantische Verklärung“ seiner Zukunft geprägt: „Jeder macht’s mit jedem, so ungefähr hab’ ich mir mein Leben vorgestellt“, erzählt Habeck. Doch dann, auf der Feier draußen nach der Premiere, seien blitzartig alle vor dem von Tschernobyl verstrahlten Regen geflohen. „Von dem ,Sommernachtstraum-Sommer‘ ist in meiner Erinnerung nichts mehr übrig geblieben, sondern nur noch das Gefühl: Hier ist was komplett aus den Fugen geraten.“

Jessen selbst hat politische Wurzeln in der Anti-Atom-Bewegung, ist in einer WG bei Brokdorf aufgewachsen, einer der Ursprungsorte jenes urgrünen Milieus, das Habeck später als Wirtschaftsminister zum Betriebsstopp funktionstüchtiger AKW inmitten einer Energiekrise zwang.

Es gab im Wahlkampf Umfragen, in denen Habeck und Unions-Spitzenkandidat Friedrich Merz (CDU) gleichauf lagen in der Kanzler-Präferenz der Deutschen. Jessen blendet eine davon ein im Film. Habecks Partei wiederum lag gleichzeitig weit hinter der Union – das lässt der Film aus.

Und so wirken Habecks eigene Kommentare zum Wahlkampf zuweilen klüger als die Inszenierung aus Jessens Off-Text, Schnittbildern und Maja-Göpel-Kommentaren. Etwa, als Habeck zu seinem „Flow“ im Wahlkampf sagt: „Ich weiß nicht, ob das eine Blasenwahrnehmung ist, also das grüne Milieu, oder ob es im Land so etwas gibt wie eine Aufbruchsstimmung.“

Oder als Habeck im Gespräch mit Jessen einmal nüchtern feststellt: „Das Thema des Wahlkampfes war Migration und Sicherheit“, denn: „Alle zehn Tage“ hätten „Menschen, die hierher geflohen sind, Menschen umgebracht. Das hat den Wahlkampf natürlich total dominiert.“ Bei diesem Thema findet der Film erste Schuldige – etwa Markus Lanz, der in seiner ZDF-Talkshow bei Habeck viel zu emotional zu den Bluttaten von Migranten in Aschaffenburg oder bei Brokstedt nachgefragt habe.

Und überhaupt – „die Medien“. Aufgrund der Nachrichtenlage sei so getan worden, ordnet eine von Jessens Expertinnen ein, als würde „eine strengere Migrationspolitik“ zu „einer höheren Sicherheit führen“. Das sei „statistisch nicht gegeben“, habe aber „medial als Erzählung funktioniert und politisch natürlich umso mehr“.

Dagegen habe der Grünen-Spitzenkandidat – der ja, so der Film an anderer Stelle, „unermüdlich konstruktive Lösungen“ angeboten habe – nicht nur nichts ausrichten können. Er habe leider auch einen Fehler begangen: Habeck habe sich der Diskussion um Probleme durch Migration anzunehmen versucht, obwohl doch die „Stimmen für Antifaschismus auf der Straße lagen. Sie standen buchstäblich auf der Straße bei Kälte mit Plakaten.“

Bilder von Demonstrationen mit „Wehrt euch, leistet Widerstand“-Singsang gegen AfD und CDU blitzen immer wieder auf im Film, auch Videos von Linke-Fraktionschefin Heidi Reichinneks Reden nach einer für die Union dank AfD-Stimmen erfolgreichen Abstimmung zur Migrationspolitik. Diese war eine Reaktion auf die Gräueltat von Aschaffenburg. Ein bisschen mehr Heidi wagen – das hätte sich mancher in Jessens Umfeld gewünscht vom Robert.

Wer auch so alles am Ärger ums Heizungsgesetz schuld sein soll

Und das sogenannte Heizungsgesetz? Habeck sagt im Film: „Ich habe ja viel Schuld auf mich genommen und viel kommunikative, wie soll ich sagen, fehlende Vorbereitung eingeräumt.“ Habeck hatte lange versäumt, zu erklären, wer sich wie die plötzlich verkündete Wärmewende leisten sollte. Zur Wahrheit gehöre aber auch, fügt Habeck dann noch weniger selbstkritisch an, dass „harte Interessen auf uns eingewirkt haben“.

Jessen schmückt das aus mit schnell aufeinander geschnittenen Schaubildern aus Corporate-Logos und Verästelungen. Was man grob behält: Die „Bild“-Zeitung – wie WELT Teil des Verlags Axel Springer – gehörte dem Vermögensverwalter KKR; dessen Manager hätten ins Fossile investiert und auch an die FDP gespendet; der wiederum gehört Frank Schäffler an; der führt einen Thinktank, der wiederum irgendwas mit einem US-Investoren-Netzwerk zu tun haben soll. Von einer „beispiellosen Kampagne der Desinformation“ ist irgendwann die Rede.

Schuld an der Niederlage tragen auch noch andere im Film: etwa Elon Musk wegen seiner X-Algorithmen oder CDU-Politiker Jens Spahn, weil der in Talkshows Unsinn über Wasserstoff-Alternativen zur Wärmepumpe erzählt habe.

Habeck selbst kritisiert die Union vor allem wegen zweierlei. Erstens wegen der Unehrlichkeit von Merz im Wahlkampf: Der habe Habeck-Ideen wie ein „Sondervermögen“ verteufelt und später selbst umgesetzt. Zweitens, weil der Unions-Kulturkampf gegen die Grünen mit seiner Idee für die Partei kollidiert sei: „Nämlich die Grünen als progressive Partei im gesellschaftlichen Zentrum zu verankern.“

Dahinter habe auch der Gedanke gesteckt, „der Union als letzter verbliebender größerer Volkspartei eine Brücke zu bauen, mit den Grünen zusammenzuarbeiten. Diese Brücke ist ja nicht nur nicht begangen worden, die ist ja eingerissen worden von so Wurst-Politikern wie Söder und Spahn und Klöckner und auch Friedrich Merz“, sagt Habeck.

Hier beklagt er im Rückblick den Ausfall einer Koalitionsoption – zumal er doch anfangs im Wahlkampf auch mithilfe Jessens „Grüner Küche“ Träume von einer Position als „Bündniskanzler“ verbreitete. Doch ein Grüner an der Spitze: Ernsthaft denkbar war das bislang nur anhand mancher Umfragen im Wahlkampf 2021, auf dem Höhepunkt der Klima-Bewegung.

Aber damals hatten die Grünen statt Habeck Annalena Baerbock die Spitzenkandidatur gegeben. Weder sie noch andere prominente Grüne kommen in Jessens Film zu Wort. Habeck seinerseits blieb dem am Sonntag abgeschlossenen Grünen-Parteitag in Hannover fern. Dort hat der Mann, der heute Teil der Grünen-Doppelspitze ist, Felix Banaszak, seine eigene politische „origin story“ nicht als gestörten „Sommernachtstraum“, sondern als Ruhrpott-Geschichte mit Traum vom eigenen Auto erzählt. Außerdem ließ er umfassend neue Klima-Sozialmaßnahmen beschließen.

Können die Grünen mittelfristig überwinden, was Jan Gorkow alias „Monchi“ – Sänger der Band Feine Sahne Fischfilet, die früher wegen linksextremer Bezüge in Verfassungsschutz-Berichten in Mecklenburg-Vorpommern auftauchte – auf einem Spaziergang gegen Ende des Films feststellt? „Robert Habeck hätte machen können, was er will“, sagt Gorkow. „Die Leute hassen die Grünen zutiefst.“ Warum, fragt Jessen. Weil die Partei für „die Leute die Speerspitze der Moralapostel“ sei, antwortet Gorkow.

Und das ist dann doch eine Selbstkritik des Habeck-Fan-Milieus, die auch an anderer Stelle hier und da deutlich wird, etwa im Gespräch mit der Klima-Aktivistin Luisa Neubauer: Darauf zu setzen, die Guten zu sein, und dass der Rest der Welt das nur erkennen muss, reicht nicht in der Politik.

Jan Alexander Casper berichtet für WELT über die Grünen und gesellschaftspolitische Themen.

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