Als bei Michael Bommer Krebs diagnostiziert wurde, traf das den Berliner Start-up-Unternehmer in vollem Lauf: Mit einem Schlag waren alle Pläne und Projekte zunichtegemacht. Bommer wusste, dass er bald sterben muss. Im März 2024 setzte der 60-Jährige einen Abschiedspost auf Facebook ab – und bekam ein ungewöhnliches Angebot. Robert LoCascio, Geschäftsführer des US-KI-Unternehmens Eternos und Ex-Arbeitskollege sowie Freund Bommers, rief an, um ihn als ersten Kunden zu gewinnen – und schlug ihm vor, er könne als KI-Avatar weiterleben.
Bommer war begeistert. Nach der Diagnose habe er darüber nachgedacht, „was ich meiner Familie hinterlassen würde“, sagte er damals. „Ich bin sehr erleichtert, dass ein Teil von mir weiterleben wird.“ Die erste Begegnung mit seinem virtuellen Ich bezeichnete er als „zutiefst berührend“. Inzwischen ist Bommer verstorben, sein KI-Avatar aber lebt weiter.
Vielen Menschen dürfte die Vorstellung, mit KI-generierten Chatbots geliebter Menschen zu kommunizieren, noch abwegig erscheinen. Vor allem in den USA aber wächst der Markt mit den personalisierten Chatbots und Avataren. Firmen wie You – only Virtual oder Storyfile erstellen KI-Avatare, die auf Erinnerungen sowie Video- und Audiodaten einer Person beruhen und mit Angehörigen „sprechen“ können. Und eine ganze Reihe von Firmen bietet die Erstellung von „digitalen Zwillingen“ an, die in Aussehen und Stimme lebenden Personen nachempfunden sind.
Aber gibt es für diese Art von Dienstleistung tatsächlich einen Markt? Würden sich einsame Menschen auf ein „Gespräch“ mit einem Chatbot oder Avatar eines geliebten Menschen einlassen? Die Telekommunikationsfirma O2 Telefónica hat dies mit einer repräsentativen Umfrage, die WELT vorliegt, eruiert. Dabei zeigte sich, dass vor allem junge Menschen häufig von Einsamkeitsgefühlen geplagt sind. Gleichzeitig zeigen sie von allen Altersgruppen die größte Bereitschaft, sich auch von digital erzeugten „Menschen“ trösten zu lassen oder im Austausch mit ChatGPT Zerstreuung zu finden. Die Ergebnisse werden am 15. Dezember in Berlin in einem Generationendialog diskutiert.
Für die Umfrage „Einsamkeit ist ein Massenphänomen. Kann KI sie heilen?“ wurden zwischen dem 14. und 20. November 1000 repräsentativ ausgewählte Bürger ab 18 Jahren befragt. Demnach gaben 59 Prozent der Befragten an, sich im Alltag zumindest manchmal allein gelassen, sozial oder emotional von anderen getrennt zu fühlen. Bei einem Viertel gehört dieses Empfinden oft oder gar sehr oft zum Leben. Und was noch schwerer wiegt: Einsamkeit ist offenbar kein vorübergehendes Gefühl. Die Hälfte der Befragten gab an, dass ihr Einsamkeitsempfinden in den vergangenen fünf Jahren sogar noch stärker geworden sei, bei 40 Prozent ist es zumindest gleich geblieben.
Insgesamt sieht man ein deutliches Altersgefälle beim Empfinden von Einsamkeit. Am stärksten betroffen ist die Gruppe der jungen Menschen. Mehr als 80 Prozent der 18- bis 24-Jährigen fühlen sich im Alltag zumindest manchmal einsam – doppelt so viele wie in der Gruppe der 60- bis 75-Jährigen. 27 Prozent der Jungen fühlen sich oft und 28 Prozent sogar sehr oft einsam. Bei den Senioren geben nur 13 Prozent an, oft oder sehr oft einsam zu sein.
Und was tun Menschen, wenn sie sich einsam fühlen? Auch hier differieren die Antworten sehr stark nach dem Alter. Während die Älteren ab 40 Jahren vor allem Filme oder Serien schauen und ihre Hobbys pflegen, lenken sich die Jüngeren am liebsten mit Social Media ab.
In der Frage, ob digitale Angebote wie Social Media, Chatbots oder Online-Communitys echte Kontakte ersetzen können, gehen die Meinungen weit auseinander. Über alle Altersgruppen hinweg bejahen diese Frage nur neun Prozent. Bei den 18- bis 24-Jährigen betrachten aber bereits 17 Prozent digitale Angebote als Ersatz für echte Begegnungen. Weitere 47 Prozent begreifen sie als Ergänzung zu echten Begegnungen. Bei den Senioren hingegen sagt eine klare Mehrheit, echte Kontakte seien durch nichts zu ersetzen.
Auch von Künstlicher Intelligenz gestützte Gesprächspartner finden inzwischen zumindest bei den Jüngeren breite Verwendung. Rund 50 Prozent der jungen Menschen unter 24 Jahren nutzen KI „oft“ oder sogar „sehr oft“ als Gesprächspartner, weitere 23 Prozent zumindest manchmal. Bei Menschen über 40 Jahren nimmt die regelmäßige Nutzerrate stark ab, sie liegt durchweg unter 14 Prozent.
Das Problem mit den „Deadbots“
Und wie steht es nun um die eingangs erwähnten „digitalen Zwillinge“ echter Menschen? Finden Menschen die Vorstellung, mit dem virtuellen Abbild eines geliebten Menschen zu sprechen, befremdlich – oder eher tröstlich? Für die Mehrheit ist das laut Erhebung ein Tabu: 59 Prozent lehnen die Vorstellung ab. Nur acht Prozent würden die Möglichkeit, mit der KI-Version eines geliebten lebenden Menschen zu sprechen, auf jeden Fall nutzen; 13 Prozent antworteten mit „eher ja“, 20 Prozent mit „vielleicht“.
Doch das ist nur der Durchschnitt der Befragten. Schaut man auf die Antworten in den einzelnen Altersgruppen, zeigt sich auch bei diesem Thema eine steigende Akzeptanz, je jünger die Befragten sind. In der Altersgruppe bis 39 Jahre signalisiert mehr als die Hälfte grundsätzliche Offenheit, bei den 18- bis 24-Jährigen sind es sogar über 60 Prozent. 27 Prozent der Unter-25-Jährigen würden sogar „auf jeden Fall“ mit Avataren ihrer Liebsten sprechen. Bei den Altersgruppen über 40 Jahren kippt die Haltung jedoch deutlich ins Ablehnende.
Das gilt in besonderem Maße für „Deadbots“: Chatbots oder Avatare verstorbener Angehöriger. 73 Prozent können sich „Gespräche“ mit solchen digitalen Abbildern nicht vorstellen. Für 13 Prozent kommt dies „vielleicht“ infrage, nur 14 Prozent antworteten mit „eher ja“ oder „auf jeden Fall“. Auch hier erweist sich die jüngste Altersgruppe als am experimentierfreudigsten. Ein Viertel der 18- bis 24-Jährigen kann sich den Chat mit Verstorbenen bereits vorstellen, unter den 60- bis 75-Jährigen sind es lediglich 4,5 Prozent.
In diesen Antworten spiegeln sich auch die ethischen Bedenken, die gegen die auch „Trauerbots“ genannten digitalen Abbilder Verstorbener vorgebracht werden. Als zentrales Problem wird dabei ausgemacht, dass der Trauerprozess eigentlich dazu dienen soll, bewusst Abschied von einem geliebten Verstorbenen zu nehmen. Durch das digitale „Fortleben“ des Menschen wird dieser Prozess künstlich verlängert, wenn nicht sogar verunmöglicht. Im schlimmsten Fall kapseln sich Trauernde dann erst recht ab.
Das Bundesfamilienministerium geht hingegen einen eher klassischen Weg. Kürzlich startete die Kampagne „Mach dich fit gegen Einsamkeit!“, die für das Thema sensibilisieren und Auswege aufzeigen will – etwa Gespräche mit dem Nachbarn im Treppenhaus. „Schon kleine Gesten können zeigen: Du bist nicht allein. Damit stärken wir nicht nur einzelne Menschen, sondern den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt“, sagt Familienministerin Karin Prien (CDU). „Wem es im Alltag gelingt, auf andere zuzugehen, bleibt verbunden und stärkt auch das eigene seelische Wohlbefinden.“
Sabine Menkens berichtet über gesellschafts-, bildungs- und familienpolitische Themen.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.