Nur noch wenige Monate sind es bis zur Landtagswahl in Baden-Württemberg – und Spitzenkandidat Cem Özdemir möchte nochmal ein grünes Wunder hinlegen. Kann man mit Klimaschutz noch punkten? Oder ist wirtschaftlicher Aufschwung wichtiger? Diesen Fragen musste sich der Grünen-Politiker im Einzelinterview mit Sandra Maischberger am Mittwochabend stellen.

Als „freisten Politiker des Landes“ beschrieb der ebenfalls anwesende Gordon Repinski von der WELT-Partnerpublikation „Politico“ zuvor Cem Özdemir zu Beginn der Sendung. Der grüne Spitzenkandidat müsse keinem Parteiprogramm folgen, sagte Repinski. Alle Grünen-Politiker wünschten sich, dass er bei der baden-württembergischen Landtagswahl im April ein ähnliches Wunder hinlegt, wie es der derzeitige Ministerpräsident Winfried Kretschmann seinerzeit tat. Gegenüber WELT sagte Grünen-Co-Parteichef Felix Banaszak jüngst: Özdemir genieße, wie andere Grünen-Spitzenkandidaten im kommenden Jahr auch, „Beinfreiheit“ im Wahlkampf.

„Hyperpragmatisch“ und „konservativer als manch Konservativer“ könne er sich dadurch präsentieren, so Repinski weiter. Ersteres schien sich Özdemir für sein Einzelinterview mit Maischberger zu Herzen zu nehmen – doch trieb er seine Pragmatik dabei so weit, dass die Inhalte, für die er steht, kaum sichtbar wurden.

So fragte ihn Maischberger, wie er es finde, dass das Verbrenner-Aus erst für 2035 geplant wird. Zur Erinnerung: Im Parteiprogramm der Grünen war ein Verbrennerverbot 2030 eine Bedingung gewesen, um in eine Koalition einzutreten. Özdemirs erste Reaktion war es, mit dem Finger auf Markus Söder (CSU) zu zeigen: „Es gibt einen bayerischen Ministerpräsidenten, der hauptberuflich Foodblogger ist, der wollte sogar noch schneller aussteigen“, sagte er.

Dann nahm sich Özdemir Ursula von der Leyen vor: Die Kommissionspräsidentin – eine Christdemokratin, betonte Özdemir – habe dieses Austrittsdatum festgelegt. Dafür hätte man aber die Ladeinfrastruktur ausbauen müssen. Und weil dies nicht ausreichend geschehen ist, müsse sich das „Programm der Realität anpassen“.

Özdemirs Kompromissformel für CDU und Grüne

Auf welches Austrittsdatum er sich selbst denn nun festlegen wolle, fragte ihn daraufhin Maischberger. „Wir wollen viel, wenn der Tag lang ist“, entgegnete Özdemir. Und auch im weiteren Verlauf des Gesprächs ließ er sich nicht festlegen – sondern berief sich immer wieder auf „die Realität“. Özdemirs konkretester Vorschlag: „Die CDU muss aufhören, den Elektromotor als Ziel in Frage zu stellen und wir Grüne stellen nicht in Frage, dass wir auf dem Weg dahin flexibel sein müssen.“

Als er daraufhin wieder mit dem Finger auf jemand anderes zeigen wollte, dieses Mal auf die AfD im Osten, verlor Maischberger die Geduld: „Ich bin gespannt, wie das Wahlprogramm der Grünen aussehen wird und ob die auch keine Zahlen mehr nennen“, sagte sie und ging abrupt zum nächsten Punkt über.

Im zweiten Teil der Sendung verlor dann nicht Maischberger, sondern der Politikwissenschaftler Christian Mölling die Geduld. Gehen sollte es hier um die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA. Welchen Weg sollte Europa künftig gegenüber der Supermacht einschlagen? Dazu diskutierten Jan van Aken, Linken-Chef und Mitglied des Verteidigungsausschusses, sowie Sicherheitsexperte Christian Mölling.

Van Aken und Russlands Militärausgaben

Van Aken kritisierte zunächst die Verteidigungsausgaben: Man investiere derzeit in Waffensysteme, die dazu dienten, Kriege am „anderen Ende der Welt zu führen“. Wenn all diese Auslandseinsätze beendet würden, reiche auch das Geld aus, sagte er. Denn: Europa habe jetzt schon höhere Militärausgaben als Russland.

Da musste Mölling bereits einhaken: Wenn man die Kaufkraftparität des Rubels und des Euros berücksichtige, „dann gibt Russland schon seit Längerem deutlich mehr Geld aus“, sagte er. Und das seien nur die Ausgaben im offiziellen Haushalt. Außerdem gäben die Europäer nur so viel Geld aus, „weil sie ihre Soldaten wertschätzen“. Auch mit den hohen Ausgaben reiche das Geld nicht, um sich effektiv zu wehren – da man eben zu lange auf die Amerikaner gesetzt habe.

Van Aken entgegnete, ihm gingen Möllings Ausführungen „zu sehr ins militärische Detail“. Worüber man reden müsse, sei Abrüstung, sagte er. Als Beispiel führte er das neue „Arrow 3“-Abwehrsystem in Brandenburg auf: Das bringe das nukleare Abschreckungsverhältnis gegenüber Russland aus dem Gleichgewicht – und führe letztlich zu noch mehr Aufrüstung.

Hier konnte sich Mölling den Sarkasmus nicht mehr verkneifen: „Ich finde es stark, dass die Linke offensichtlich schlauer ist als der Kreml“, sagte er. „Weil der hat sich bisher über die Raketen in Brandenburg gar nicht beschwert.“ Warum? „Es sind relativ wenig.“

Und als es schließlich um den Wehrdienst ging, platzte Mölling endgültig der Kragen. Van Aken bekräftigte seine frühere Aussage, die Musterung sei der „direkte Weg in den Zwangsdienst“: Viele seiner Mitschüler seien damals durch die Gewissensprüfung durchgefallen und hätten trotzdem zum Bund gemusst. Überhaupt könne van Aken nicht verstehen, warum man, anstatt Männer „zwangszurekrutieren“, nicht einfach besser zwischen den EU-Staaten koordiniere. Immerhin hätten die EU-Staaten 1,5 Millionen aktive Soldaten, Russland nur 1,3 Millionen.

„Es gibt die Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern“, entgegnete Mölling. „Das ist wirklich eine schräge Folklore.“ Van Aken unterbrach ihn, beteuerte: Das sei schließlich seine persönliche Erfahrung. Doch hier musste Maischberger wieder abbrechen, der Zeit wegen.

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