Kurz nachdem Johannes Paul II. 1978 zum Papst gewählt worden war, rief er über den Petersplatz: „Habt keine Angst, die Tore weit für Christus zu öffnen, fürchtet Euch nicht.“ Dieser Satz wurde zum Sinnbild seines Pontifikats. Johannes Paul II. unterstützte die polnische Solidarnosc-Bewegung und trug damit mehr zum Fall des Eisernen Vorhangs bei als ihm bis heute viele Geschichtsbücher zugestehen.
Vor einem halben Jahr wählte die katholische Kirche mit Robert Francis Prevost zum ersten Mal einen Amerikaner zu ihrem Oberhaupt. Seitdem teilte Papst Leo XIV. mehrfach gegen US-Präsident Donald Trump aus. Zu dem von der Trump-Regierung präsentierten Friedensplan für die Ukraine äußerte er sich jüngst skeptisch, mahnte dazu, die Europäer in die Friedensbemühungen einzubeziehen. Die jüngsten Äußerungen aus Washington über den Kontinent drohten ein für die Zukunft wichtiges Bündnis zu zerstören, sagte er „Vatican News“. Europas Rolle und Einheit seien entscheidend, besonders mit Blick auf die Ukraine.
Auch die Migrationspolitik der Trump-Regierung hatte der Papst mehrfach kritisiert. Wie sie mit Migranten umgehe, sei „extrem respektlos“. Leo XIV. warb dafür, Migranten würdevoll zu behandeln. Ihm zufolge ist die katholische Kirche verpflichtet, jedes Leben zu schützen. Die amerikanische Regierung beherzige das allerdings nur teilweise. Denn konsequent gedacht gelte die Verpflichtung für ungeborenes Leben genauso wie für Migranten. Leo XIV. kritisierte die US-Regierung auch dafür, dass sie Migranten in Abschiebehaft verbietet, ihre Religion auszuüben. Darunter das Recht, die Kommunion zu empfangen.
Dass sich Leo XIV. für die Rechte von Migranten einsetzt, könnte auch mit seiner Herkunft zusammenhängen. Prevost wuchs im migrantisch geprägten Südteil von Chicago auf. Neben der amerikanischen besitzt er auch die peruanische Staatsbürgerschaft. Bevor er das Amt des Papstes antrat, lebte er als Missionar und später Erzbischof jahrelang in dem kleinen südamerikanischen Land.
Verschiedene Schwergewichte der MAGA-Bewegung (Make America Great Again) reagierten bereits scharf auf die Kritik des Papstes. Trump-Sprecherin Karoline Leavitt wies die Vorwürfe zurück. Politikberater Steve Bannon nannte Leo XIV. „die schlechteste Wahl für MAGA-Katholiken“. Vizepräsident J.D. Vance hingegen wich aus und erklärte, er wolle den Papst nicht politisieren. Vance war als Erwachsener zum katholischen Glauben konvertiert und hatte sich 2019 taufen lassen.
Die amerikanische Bischofskonferenz schloss sich der Kritik von Leo XIV. an. Erstmals seit zwölf Jahren gaben die Bischöfe eine gemeinsame Erklärung ab, die sie auch in einem YouTube-Video verlasen. Darin verurteilten sie die willkürlichen Massenabschiebungen und beklagten ein Klima der Angst, das die Einwanderungspolitik im Land schüre.
In der Erklärung hieß es, man bete „für ein Ende der entmenschlichenden Rhetorik und Gewalt“. Doch nicht alle US-Geistlichen stehen an der Seite des Papstes. Der ehemalige texanische Bischof Joseph Strickland warf ihm vor, „Verwirrung über die Heiligkeit des menschlichen Lebens und die moralische Klarheit der kirchlichen Lehre“ zu stiften.
Seit seiner Amtseinführung hat sich Leo XIV. immer wieder ins politische Geschehen eingemischt. Er betont die Würde des Menschen, verurteilt staatliche Gewalt und kritisiert russische Angriffe in der Ukraine. Die Kriegsparteien in Gaza forderte er dazu auf, ihre Waffen ruhen zu lassen, Geiseln freizulassen und das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Auf X ermahnte er Hersteller Künstlicher Intelligenz, „Systeme zu entwickeln, die Gerechtigkeit, Solidarität und eine echte Ehrfurcht vor dem Leben widerspiegeln“.
Leo XIV. gewann auf Social Media in kürzester Zeit mehr Follower als seine Vorgänger Franziskus und Benedikt XVI. Bereits wenige Tage nach Amtsantritt folgten ihm auf Instagram zwölf Millionen Menschen – deutlich mehr als die 10,5 Millionen, die Franziskus in neun Jahren ansammelte. Inzwischen zählt Leos Instagram-Konto 14,2 Millionen Follower. Mehr als 50 Millionen Menschen erreicht er über insgesamt neun X-Accounts, über die er seine Follower in verschiedenen Sprachen anspricht.
Social-Media-Gipfel für katholische Influencer
Social Media hilft der katholischen Kirche dabei, ihre schwindende Reichweite zurückzugewinnen. Im Juli 2025 lud der Vatikan zu einem Social-Media-Gipfel für katholische Influencer, auch digitale Missionare genannt. Im Petersdom rief der Papst in einer Messe dazu auf, Inhalte für jene zu schaffen, „die den Herrn kennenlernen müssen“.
Einiges spricht dafür, dass Leo XIV. reichweitenstarke Kommunikation inzwischen auch bei katholischen Trump-Wählern ankommt. Bei der Präsidentschaftswahl 2024 hatten noch 55 Prozent der Katholiken für Trump gestimmt, jeder fünfte seiner Wähler gehörte dem katholischen Glauben an. Auch bei den katholisch geprägten Hispanics konnte er punkten: 43 Prozent stimmten für ihn – deutlich mehr als die 32 Prozent im Jahr 2020 und 28 Prozent im Jahr 2016.
Doch nun deutet sich eine Kehrtwende an. Bei den jüngsten Gouverneurs- und Bürgermeisterwahlen stimmten die Menschen in überwiegend von Latinos bewohnten Wahlbezirken deutlich für die Demokraten: rund 68 Prozent in New Jersey, etwa 67 Prozent in Virginia. Bei der Bürgermeisterwahl in Miami, einer Hochburg der Latinos, setzte sich die Demokratin Eileen Higgins klar gegen den von Trump unterstützten Republikaner Emilio González durch. Erstmals seit 30 Jahren geht das Amt damit wieder an die Demokraten. Bei den Präsidentschaftswahlen 2024 hatte Trump die Metropolregion Miami noch für sich entschieden.
„Die Äußerungen des Papstes haben Einfluss“, sagt Michael Werz, Senior Fellow am Thinktank Council on Foreign Relations. „Angesichts der ungewöhnlich starken Unterstützung katholischer Wähler für Trump und der Wirkungsmacht des Papstes ist die Positionierung von Leo XIV. ein politisches Problem für das Weiße Haus.“
Katholiken sind in den USA eine Minderheit, doch die Stimme des Papstes hat ein großes moralisches Gewicht. Schon John F. Kennedy, der erste katholische US-Präsident, stieß in seinem Wahlkampf auf Misstrauen. Einige fürchteten, der Vatikan könne sich durch Kennedys Wahl zu sehr in die US-Politik einmischen.
Laut Werz können in Wechselwähler-Staaten ein oder zwei Prozent einen entscheidenden Unterschied machen. Eine aktuelle Umfrage dokumentiert demnach, dass Trump mehr als ein Drittel der Unterstützung seiner Latino-Wähler verloren habe. „Die Nervosität im Weißen Haus hängt nicht nur mit den Epstein-Enthüllungen zusammen, sondern auch mit dieser Entwicklung“, sagt Werz.
Setzt Trump seine harte Einwanderungspolitik fort, riskiert er, eine Wählergruppe zu verlieren, die sich ihm gerade erst angenähert hatte. Die USA steuern auf die Kongresswahlen im November 2026 zu, die über Trumps politischen Spielraum in der verbleibenden Amtszeit entscheiden.
Zurückhaltung ist vom Papst vor den Wahlen kaum zu erwarten. Auf seiner jüngsten Reise durch den Nahen Osten bekräftigte er seine Haltung. Er kritisierte Anti-Migrations-Aktivisten und erklärte, die Zusammenarbeit von Christen und Muslimen im Libanon sei ein Vorbild für die USA und Europa.
Jan H. Rosenkranz ist Volontär an der Axel Springer Academy of Journalism & Technology.
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