Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat vor dem EU-Gipfel in Brüssel die Rolle von Deutschland auf der internationalen Bühne hervorgehoben. „Wir erleben eine tiefe Erschütterung der internationalen Ordnung“, sagte Merz bei der Regierungserklärung im Bundestag am Mittwoch. Aus einer Weltordnung werde eine „Weltunordnung“. Der Kanzler zählte als Herausforderungen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, Protektionismus und die stagnierende Wirtschaft in Deutschland auf.

„Wir sind fest entschlossen, dass Deutschland nicht zum Opfer dieser Prozesse werden darf“, sagte Merz. „Wir dürfen nicht dabei zusehen, wie die Welt neu geordnet wird. Wir sind kein Spielball von Großmächten.“

Deutschland sei zurück auf der internationalen Bühne, und dazu habe „die Verbesserung unserer Verteidigungsfähigkeit wirklich maßgeblich beigetragen“, sagte der Kanzler. Die Bundesrepublik habe ihren Verteidigungshaushalt deutlich erhöht und handle danach, selbst so stark zu sein, „dass uns niemand angreift“. Es gehe darum, glaubhaft abzuschrecken.

Die Sicherheit Europas sei untrennbar mit dem Schicksal und der Sicherheit der Ukraine verbunden, betonte Merz. Er dankte dabei auch den Ukrainern für ihren Abwehrkampf.

Beim EU-Gipfel in Brüssel wolle er sich persönlich für die Nutzbarmachung von eingefrorenen russischen Vermögenswerten einsetzen. Er kenne die Bedenken vieler Regierungen in Europa vor diesem Schritt. Offenkundig müsse der Druck auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin noch weiter steigen, damit dieser bereit zu Verhandlungen sei. Dafür brauche es dieser Entscheidung auf europäischer Ebene.

Merz weist AfD-Frage zu Ukraine-Truppen zurück

Zuvor hatte sich Merz bei der Frage einer deutschen Beteiligung an einer Mission zur Sicherung eines möglichen Waffenstillstands in der Ukraine zurückhaltend geäußert. Der AfD-Abgeordnete Markus Frohnmaier fragte den Kanzler bei der Regierungsbefragung im Bundestag, die vor der Regierungserklärung stattfand, wie viele deutsche Soldaten er im Rahmen von Sicherheitsgarantien in die Ukraine schicken wolle. Merz antwortete: „Seit Wochen sprechen wir in Europa zusammen mit der amerikanischen Regierung über mögliche Sicherheitsgarantien, die der Ukraine gegeben werden könnten für den Fall eines Waffenstillstands. Und über nichts anderes sprechen wir im Augenblick.“

Frohnmaier fragte erneut: „Wollen Sie deutsche Soldaten in die Ukraine entsenden im Rahmen der Sicherheitsgarantien? Das lässt sich mit Ja oder Nein beantworten – als kleiner Hinweis.“

Merz konterte: „Vielen Dank für den Hinweis, Herr Abgeordneter. Es gibt Fragen auf dieser Welt, die sind nicht so einfach, wie Sie sich vielleicht vorstellen zu beantworten. Und diese Frage gehört dazu.“ Dafür gab es Applaus im Plenum. Es gehe um Sicherheitsgarantien nach einem Waffenstillstand, sagte Merz. „Wir werden – jedenfalls so lange ich mitsprechen kann – die Fehler des Jahres 2014 nicht wiederholen, die Ukraine ohne Sicherheitsgarantien weiter dem Zugriff von Russland ausgesetzt zu sehen.“

Mehrere europäische Staaten hatten sich nach zweitägigen Verhandlungen mit der Ukraine und den USA am Montag für eine von Europa geführte „multinationale Truppe für die Ukraine“ ausgesprochen. Nach einer Vereinbarung zur Beendigung des Krieges zwischen Russland und der Ukraine soll diese von Europa geführte und den USA unterstützte Truppe die ukrainischen Streitkräfte unterstützen und die Sicherheit des Luftraums und der Meere gewährleisten – „auch durch Operationen innerhalb der Ukraine“.

++ Alle Entwicklungen zur Ukraine im Liveticker ++

Parteikollege Jürgen Hardt (CDU) fragte Merz mit Blick auf die jüngsten Verhandlungen, welche Schritte noch notwendig seien, um die erzielte Einigung auch in möglichen Verhandlungen mit Russland durchzusetzen. Merz erklärte, dass nun Russland am Zug ist. „Es geht jetzt darum, diese gemeinsame Position der Europäer, der Ukraine und der Vereinigten Staaten von Amerika Russland vorzulegen und Russland aufzufordern, auf der Basis dieser Vorschläge den Krieg in der Ukraine zu beenden. Das ist der nächste Schritt, und den werden vor allem die Amerikaner gehen.“

Konstantin von Notz (Grüne) fragte, was die Bundesregierung gegen Desinformationskampagnen zugunsten „russlandfreundlicher Parteien“ tun wolle. Merz sprach von einer „beständig zunehmenden Bedrohung“ der inneren Sicherheit. Die Bundesregierung habe deshalb den Nationalen Sicherheitsrat eingerichtet, um die Arbeit der zuständigen Behörden besser zu koordinieren. Außerdem prüfe die Bundesregierung die Möglichkeit, über das Internet die Herkunftsorte der Angriffe zu identifizieren und „auch zu schädigen“. „Wir prüfen, ob wir weitere Möglichkeiten haben, Rechtsgrundlagen zu schaffen, um uns gegen solche Angriffe in Zukunft noch besser zu wehren.“

Merz: Wirtschaftsbelebung „möglicherweise schwerer, als wir es einschätzt haben“

Marc Bernhard (AfD) verwies bei seiner Frage auf die Wirtschaftskrise in Deutschland und fragte, „wie viele Hunderttausend Arbeitsplätze“ noch „vernichtet“ werden müssten, bevor die Bundesregierung Steuern und Energiekosten spürbar senke. Merz betonte, dass die Regierung schon ein Entlastungspaket für Steuern beschlossen habe und zu Beginn des kommenden Jahres eine deutliche Absenkung der Energiekosten zu sehen sein werde.

„Wir wissen, dass das alles noch nicht genug ist. Wir werden deswegen einen Industriestrompreis in Deutschland ermöglichen, wir werden eine Kraftwerkstrategie in Deutschland umsetzen, die dafür sorgt, dass wir auch wieder Gaskraftwerke bekommen, die Strom umsetzen.“ Man werde „intensiv“ weiter daran arbeiten, dass die Standortbedingungen wieder Wachstum und Beschäftigung ermöglichen. „Ich weiß, dass diese Aufgabe schwer ist. Sie ist möglicherweise auch schwerer, als wir es eingeschätzt haben.“

Hanna Steinmüller (Grüne) beklagte die „explodierenden“ Mieten in Deutschland und kritisiere Bauministerin Verena Hubertz (SPD), die eine Mietrechtsnovelle angekündigt habe: „Herr Bundeskanzler, wann ist mit dieser Mietrechtsnovelle zu rechnen?“ Merz erwiderte, er kenne den Zeitplan der Ministerin nicht. Er verwies auf „eine ganze Reihe von Entscheidungen“, die bereits getroffen worden seien, um mehr Wohnraum zu schaffen. So sei das Baugesetzbuch geändert und den Kommunen ermöglicht worden, „viel schneller zu bauen“. „Man kann nur das vermieten, was da ist. Wir kümmern uns darum, dass der Bestand größer wird.“

Merz plädiert für Technologieoffenheit

Der AfD-Abgeordnete Andreas Mayer fragte mit Blick auf das Verbrennerverbot, ob Bürger und Unternehmer keine freie Wahl beim Autokauf haben sollten. „Die Bundesregierung fühlt sich dem Ziel der Klimaneutralität auch für die Automobilwirtschaft unverändert verpflichtet“, antwortete Merz. „Wir sind in der Koalition der Auffassung, dass das mit Technologieoffenheit besser geht als mit staatlicher Regierung.“ Genau diesen Weg wolle die EU-Kommission nun gehen. Die EU-Kommission hatte am Dienstag nach langem Drängen der Industrie eine Abkehr vom sogenannten Verbrenner-Aus vorgeschlagen: Auch nach 2035 sollen Autohersteller weiter Verbrenner- und Hybrid-Fahrzeuge auf den Markt bringen dürfen.

Über die Details werde noch zu sprechen sein, sagte Merz, aber aus der Industrie höre er „durchaus zustimmende Bemerkungen“ zu den Vorschlägen der EU-Kommission. „Wir wollen beide Ziele miteinander erreichen: Klimaneutralität und Modernisierung unserer Automobilwirtschaft mit möglichst vielen Technologien, die dazu beitragen können.“ In dieser Frage sei man sich mit der Kommission einig.

Streit um die Aufnahme von Afghanen

Agnieszka Brugger (Grüne) sprach die Lage der afghanischen Ortskräfte in Pakistan an, denen Deutschland eine Aufnahme versprochen hatte. Nach seinem Wissen, erklärte Merz, befinde sich unter den Afghanen, die derzeit Ausreisebegehren stellten, „keine Ortskraft mehr, die eine Zusage bekommen hat, als Ortskraft nach Deutschland zu kommen“. Überwiegend oder ausschließlich seien es Menschen, denen die frühere Bundesregierung mithilfe von NGOs Zusagen gemacht habe. „Wir werden uns an diese Zusagen, wenn sie rechtsverbindlich ergangen sind, halten. Aber ich bitte auch um Verständnis dafür, dass der Bundesinnenminister meine volle Unterstützung hat, in jedem einzelnen Fall eine Sicherheitsprüfung vorzunehmen. Wir müssen wissen, wen wir nach Deutschland einladen, hier auf Dauer zu bleiben.“

Hinweis: Der Artikel wird laufend aktualisiert.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.