Die scheidende Bundesinnenministerin Nancy Faeser rechnet für das laufende Jahr mit den geringsten Asylbewerberzahlen seit über einem Jahrzehnt. „Wenn die irreguläre Migration weiter so stark zurückgedrängt wird, wie wir es in den letzten zwei Jahren geschafft haben, dann können die Asylzahlen in Deutschland in diesem Jahr bei etwa 100.000 liegen“, sagte die SPD-Politikerin der Funke-Mediengruppe einem Vorabbericht vom Sonntag zufolge. Zuletzt hatte es laut Bundesamt für Migration 2012 weniger als 100.000 Asylanträge gegeben. 2024 waren es knapp 251.000 nach rund 352.000 im Jahr davor.

In diesem April wurden Faeser zufolge 8840 Asylgesuche gestellt. Das seien 55 Prozent weniger als im April 2023. Von Januar bis April dieses Jahres wurden dem Bericht zufolge insgesamt 42.460 Asylgesuche registriert.

Faeser unterstrich die Notwendigkeit eines gemeinsamen Handelns mit europäischen Nachbarstaaten. Die Bundespolizei kontrolliere an allen deutschen Landgrenzen und habe dabei schon mehr als 53.000 Personen zurückgewiesen. „Mehr als 2200 Schleuser wurden bei unseren Kontrollen festgenommen“, sagte Faeser. „All das findet in enger europäischer Abstimmung statt und im Rahmen des europäischen Rechts. Nur so scheitern Maßnahmen nicht binnen kürzester Zeit vor Gericht – und nur so wirken sie auch.“

Das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) werde der entscheidende Schritt sein für die weitere Begrenzung und für einen starken Schutz der EU-Außengrenzen.

„Drittstaatenverfahren können ein weiterer Baustein sein“

Das Bundesinnenministerium hält die Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union (EU) für grundsätzlich denkbar, sieht aber sehr hohe rechtliche Hürden und praktische Schwierigkeiten. Dies geht aus dem am Sonntag vom Ministerium veröffentlichten Abschlussbericht hervor, mit dem die Ministerpräsidentenkonferenz das Ministerium beauftragt hatte. „Kooperationen mit Drittstaaten können ein weiterer Baustein sein, um irreguläre Migration zu begrenzen“, erklärte Nancy Faeser. „Die Erfahrungen in Großbritannien zeigen aber auch, dass solche Versuche auch immense Kosten verursachen und auf ganzer Linie scheitern können“, warnte sie.

Im Streit über die Begrenzung der Migration war immer wieder die Forderung aufgekommen, Asylanträge bereits außerhalb der Europäischen Union (EU) zu prüfen. Eine Umsetzung verschiedener Drittstaatenmodelle wäre dem Prüfbericht zufolge nur bei teils wesentlichen Änderungen des deutschen und des EU-Rechts möglich. „Zugleich bestehen gewisse rechtliche Risiken, und die Steuerungswirkung dieser Modelle erscheint ungewiss“, heißt es in dem 37-seitigen Bericht. „Darüber hinaus ergeben sich teils erhebliche praktische Herausforderungen und Hürden.“

Experten aus den Bereichen Migration und Recht hatten sich mit verschiedenen Modellen beschäftigt. Das waren die – inzwischen aufgegebenen – Pläne Großbritanniens für Asylverfahren im ostafrikanischen Ruanda, Italiens Vereinbarung zu Asylverfahren in Albanien sowie das sogenannte Hinwegmodell, bei dem die Prüfung des Schutzstatus vor Erreichen europäischen Bodens in einem Transitstaat erfolgt. Zusätzlich fanden Gespräche unter anderem mit der EU-Kommission und dem UN-Flüchtlingshilfswerk statt.

Die Auslagerung der Prüfung sei außerdem mit hohen Kosten verbunden, etwa durch neue Behördenvorgänge und zusätzliches Personal, das zeitweise in dem Drittstaat im Einsatz ist, heißt es in dem Expertenbericht. Außerdem kämen „finanzielle Anreize für den Drittstaat für eine entsprechende Kooperation sowie die Kosten für entsprechenden Kapazitätsaufbau im Drittstaat in Betracht“, heißt es weiter. Denn vor Ort müsse es ein funktionierendes Schutzsystem für die Menschen geben, bevor ein solches Modell umgesetzt werden könne.

Gescheiterte Drittstaatenkonzepte in Nachbarländern

Über mögliche politische Schlussfolgerungen aus dem Bericht werde die künftige Bundesregierung zu entscheiden haben, teilte das Innenministerium mit. In dem Bericht wird auch hervorgehoben, dass eine Verlagerung in Drittstaaten auf bestimmte Personengruppen beschränkt werden müsste. Und dass derzeit keine sicheren Drittstaaten zu entsprechenden Kooperationen bereit seien.

„Die Erfahrungen anderer Staaten sowie die im Bericht (...) ausführlich dargelegten Herausforderungen und Schwierigkeiten führen dazu, dass die Anwendung des Drittstaatenkonzepts nicht als Massenverfahren taugt“, heißt es in dem Bericht. Eine Umsetzung sicherer Drittstaatenkonzepte könne allenfalls auf europäischer Ebene gelingen.

„Auch Dänemark hat nationale Pläne zur Durchführung von Asylverfahren in Ruanda Anfang 2023 auf Eis gelegt und setzt sich seitdem für eine europäische Lösung ein“, heißt es im Bericht. „Absehbar scheint nur eine relativ kleine Anzahl von Staaten in relevanten Regionen überhaupt für ein Drittstaatenmodell (...) infrage zu kommen. (...) Allerdings gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass diese Drittstaaten bereit wären, über eine entsprechende Kooperation zu verhandeln.“

Faesers Ministeramt soll in der kommenden Woche der CSU-Politiker Alexander Dobrindt übernehmen. „Die ersten Entscheidungen werden nach Amtsantritt an diesem Mittwoch getroffen“, kündigte Dobrindt in der „Bild am Sonntag“ an. „Dazu werden die Grenzkontrollen hochgefahren und die Zurückweisungen gesteigert.“ Grenzschließungen werde es nicht geben.

Die von Union und SPD vereinbarte Koalition will die Zurückweisung von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen deutlich ausweiten. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu, „in Abstimmung“ mit den Nachbarstaaten. Ob dies die Zustimmung der Nachbarstaaten erfordert, blieb offen.

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