Der CDU-Generalsekretär gehört zweifellos zu den Antreibern in der schwarz-roten Koalition. „Wenn wir jetzt nicht am Anfang liefern, werden die Leute uns nicht vertrauen“, sagte Carsten Linnemann bei Phoenix. Deswegen seien die ersten 100 Tage der Regierung entscheidend, die Zeit bis zur parlamentarischen Sommerpause Mitte Juli werde vermutlich die wichtigste für die komplette Wahlperiode.
Ein hehrer Anspruch, dem allerdings einige Hindernisse im Weg stehen. Der erste „Schluckauf“, so bezeichnete Polens Außenminister Radoslaw Sikorski den verpatzten ersten Wahlgang bei der Kanzlerkür, konnte zwar innerhalb weniger Stunden kuriert werden – jedoch unter Preisgabe des Unvereinbarkeitsbeschlusses der Union zur Kooperation mit der Linken, deren Zustimmung zur Änderung der Geschäftsordnung im Bundestag für einen zweiten Wahlgang noch am gleichen Tag benötigt wurde.
Ein weiterer Hemmschuh ist der Organisationserlass der Regierung. Darin ist die Neuordnung der Ministerien beschrieben: die Gründung eines Hauses für Digitales und Staatsmodernisierung sowie die Übertragung von Zuständigkeiten zwischen den Ressorts. So wandert der Verbraucherschutz aus dem Umwelt- ins Justizministerium, die Heimat genannte Pflege regionaler Kultur aus dem Innen- ins Agrarministerium und dergleichen mehr.
Mit anderen Worten: Die betroffenen elf (!) Ressorts sind zunächst mit sich selbst beschäftigt, bis 1. August. Erst dann muss die Reorganisation abgeschlossen sein, heißt es im Erlass. Die 100 Tage sind dann längst um.
Tempomindernd wirkt sich auch die vorläufige Haushaltsführung aus. Frühestens Ende September ist im Bundestag mit der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes fürs laufende Jahr zu rechnen. In der Zwischenzeit müssen Notlösungen gefunden werden. So stehen bei der unter Personalnot leidenden Bundeswehr einige Hundert Spezialisten vor dem Abschied, die zwar dringend gebraucht werden und auch willens sind weiterzuarbeiten – aber es gibt keine Haushaltstitel, um sie zu bezahlen.
In der Migrationspolitik ist der Konflikt schon da
Als größte Bremse schließlich wirkt die SPD, die sich in der schwarz-roten Koalition als Wahrer des Status quo zu verstehen scheint. Den Wunsch von Friedrich Merz, mit der Staatsmodernisierung durch Verschlankung an der Spitze zu beginnen und Ministerien wie das für wirtschaftliche Zusammenarbeit abzuschaffen, lehnten die Sozialdemokraten ab.
Auch das Bauressort hätte sich problemlos einsparen lassen. Doch die SPD braucht die Posten, um innerparteiliche Bedürfnisse zu befriedigen. Laut „Spiegel“ hat Vizekanzler Lars Klingbeil zudem Rolf Mützenich das Amt des Vorsitzenden im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags angetragen. Damit würde die von Außenminister Johann Wadephul (CDU) angestrebte „Konzentration auf das Wesentliche“ zumindest verkompliziert, nämlich die Fokussierung auf eine „sicherheits-, interessen- und wirtschaftsgeleitete Außenpolitik“.
Mützenichs Positionen zur Ukraine-Unterstützung oder zu der Rolle der Bundeswehr als sicherheitspolitisches Instrument sind mit Wadephuls „grundnüchterner Prioritätensetzung“ eher nicht vereinbar und würden zu zeitraubenden Konflikten führen.
In der Migrationspolitik ist so ein Konflikt schon da. Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) nutzt den Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union als rechtliche Grundlage, um Asylantragsteller an den Grenzen entgegen den Dublin-Regelungen zurückweisen zu können.
Die SPD-Fraktionsvize Sonja Eichwede betonte umgehend, dass ihre Partei solche Zurückweisungen für europarechtswidrig halte. Wer recht hat, das werden am Ende Gerichte entscheiden. Den von Linnemann gewünschten Eindruck von gemeinsamer Tatkraft zum Start der Koalition erweckt derlei juristischer Auslegungszwist jedenfalls nicht.
Der Politische Korrespondent Thorsten Jungholt schreibt seit vielen Jahren über Bundeswehr, Sicherheitspolitik und Justiz. Seinen Newsletter „Best of Thorsten Jungholt“ können Sie hier abonnieren.
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